Levi Angenendt

Von Flugblattpropaganda zur Zeitung: Die Entwicklung des Journalismus im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges

Geschichte des Journalismus in Deutschland: Wie aus Flugblattpropaganda die Zeitung wurde

Ah, die Zeitung. Sie ist ein wenig wie das Auto: Sie ist ein Symbol für unsere deutsche Freiheit und deutsche Unabhängigkeit, sie ist ein Symbol für unsere deutsche Innovationskunst und unsere deutsche Ignoranz, und natürlich ist sie auch ein wenig ein Symbol dafür, dass die besten deutschen Jahre vorbei sind. Aber Moment, wie ist die Zeitung eigentlich entstanden? Und welche Rolle hat das Heilige Römische Reich Deutscher Nation dabei gespielt? Und welche Ähnlichkeiten hat ihre Entstehungsgeschichte, die nicht ganz so zufällig mit dem Dreißigjährigen Krieg zusammengefallen ist, mit der derzeitigen Radikalisierung auf den sozialen Medien?

Der Zeitungsvogel als Symbol für die Deutsche Geschichte des Journalismus

Heute erfahren Sie, wie sich der Journalismus im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation entwickelt hat, wie die uneingeschränkte Möglichkeit zur Meinungsäußerung die Menschen während der Reformationszeit radikalisiert hat und wie sich aus dieser Radikalisierung eine neue Form der Informationsverbreitung entwickelt hat.

Das ist die Geschichte, wie sich Meinungsäußerungen auf Flugblättern zu Informierenden Zeitungen entwickelt haben.

Die Geschichte des Journalismus im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation

Eine fiktive Flagge des heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation
Schwarz, Rot & Gold waren bereits die Reichsfarben im Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation

Die Druckerpresse

Die Geschichte des Printjournalismus beginnt mit der Erfindung der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg. Ursprünglich wurde die Druckerpresse für die Verbreitung von Bibeln und andere religiöse Texte verwendet. Doch mit der Reformationszeit entwickelten sich ihre Druckerzeugnisse in ein Medium für die politische Meinungsbildung. Welche schon bald das dominante Medium im heiligen römischen Reich deutscher Nation waren.

Wie hat sich der Printjournalismus im Heiligen Römischen Reich entwickelt?

Die Entwicklung des Printjournalismus im Heiligen Römischen Reich lässt sich in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase ist die Zeit der Reformationszeit, in dieser Zeit sind die Meinungsäußernden Flugblätter entstanden. Die zweite Phase ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in dieser Zeit hat sich der Fokus zu Informierenden Zeitungen gewandelt. Die dritte Phase ist die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dieser Zeit hat sich aus dem chaotischen Zeitungssystem eine professionelle Zeitungskultur entwickelt.

Die Illustrierten Flugblätter

Der Theologieprofessor Harry Oelke beschreibt in seinem Buch "Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter" die Entstehung eines neuen Mediums in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts: illustrierte Flugblätter. Oelke vermutet, dass diese aus den Heiligenbildern des Mittelalters hervorgegangen sind, die insbesondere an Pilgerorten als beliebtes Handelsmaterial dienten. In seiner Analyse stellt Oelke fest, dass ab dem Jahr 1480 illustrierte Flugblätter über aktuelle Ereignisse berichteten und sowohl politische als auch religiöse Meinungen verbreiteten. Während der Reformationszeit wurden illustrierte Flugblätter besonders prominent eingesetzt. Reformisten und ihre Anhänger nutzten sie, um mithilfe von Massenpamphleten das Informationsmonopol der Kirche und des Adels herauszufordern.

Insbesondere die Flugblattpropaganda, aber auch eine Flut von Pamphleten, Traktaten und Flugschriften, hatte die sukzessive Konfessionalisierung der Politik sowie den Entfremdungsprozeß zwischen den konfessionellen Lagern nicht nur begleitet, sondern auch immer weiter voran- getrieben. Dabei zielte die Tagespublizistik in erster Linie nicht auf die Machtzentralen der Obrigkeit ab, sondern intendierte die Einflußnahme auf das allgemeine zeitgenössische Stimmungsbild.
Zitat von Oelke (Oelke 1992: 406).

Die Spaltung der Gesellschaft während der Reformation

Der Reformist Martin Luther sammelt Informationen und verbreitet Meinungen.
Reformisten wie Martin Luther lassen sich rückblickend betrachtet als Meinungsäußernde Journalisten klassifizieren

Die illustrierten Flugblätter waren kostengünstig in der Produktion, weshalb sie zur Zeit der Reformation ein effektives Medium waren, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Flugblätter waren dabei gar nicht darauf ausgelegt Fakten darzustellen, stattdessen benutzten sie eine „Appellstruktur“, um die Meinungen der Empfänger zu beeinflussen. Wegen dieser Charakteristik führt Oelke den Begriff: „Flugblattpropaganda“ ein. Die „Flugblattpropaganda“war eine dezentralisierte Sammlung von Streitschriften, welche ein Oppositionsmedium gegen die Meinungsprägende Gewalt der vorherrschenden Elite bildete. Die Flugblattpropaganda bietet einen spannenden historischen Vergleich zu den Kommentarfeldern der sozialen Medien.

Ab dem Jahr 1560 begann sich der Calvinismus, als Alternative zum Lutherischen Protestantismus zu verbreiten. Schon bald war auch der Calvinismus in Lutherischer und Katholischer „Flugblattpropaganda“ als Feindbild ersichtlich. Im Buch von Professor Oelke wird erkennbar das, dass neue Medium den Bürgern eine Möglichkeit gab eine frühe Form von Meinungsbildenden Journalismus zu betreiben, der während der Reformationszeit, eine voranschreitende Spaltung der Gesellschaft nach Konfessionen, „nicht nur begleitet“, sondern auch „vorangetrieben“ hat. Diese Spaltung kulminierte zusammen. Mit anderen geopolitischen Ereignissen im Dreißigjährigen Krieg.

Die Entstehung der Zeitung vor dem Dreißigjährigen Krieg

Es ist wahrscheinlich, dass das Zusammenstellen von mehreren Illustrierten Flugblättern zu der ersten Zeitung geführt hat. Was wir wissen ist, dass die erste uns bekannte Zeitung: die „Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien“, im Jahr 1605 von Johann Carolus in Straßburg erfunden wurde. Der Doktor der Philosophie und Experte für die Studien über kulturelle Erinnerungen Johannes Müller, sieht in dieser ersten Zeitung, jedoch keine bahnbrechende Innovation, da diese Zeitung zusammen mit anderen gedruckten Medien existierte. Wie beispielsweiße die bereits im Jahr 1580 erschienende „Messrelationen“ welche auf den großen Frühlings- und Herbstmessen in Frankfurt und Leipzig halbjährlich erschien.

Die „Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien“ war eine Adaption eines alten Mediums, angepasst auf die neue Technologie der Druckerpresse. Der Technologische Fortschritt fand schon bald Imitationen und so erschienen in unterschiedlichen Städten ähnliche Zeitungen. Jedoch konnte sich die Zeitung erst mit dem 30-jährigen Krieg, als das vorherrschende Medium etablieren.

Das Informationsnetzwerk im Dreißigjährigen Krieg

Der Dreißigjährige Krieg, war auf Grund der Kolonisation im vorangegangenen Zeitalter der Entdeckungen ein globaler Krieg. Deshalb spielten globale Nachrichten eine immer größere Rolle in den Publikationen der Zeit. So konnten Deutsche Protestanten zeitverzögert mitfiebern, wenn die niederländische Flotte Angriffe auf die portugiesische Kolonie in Brasilien durchführte. Die Geschehnisse in den Kolonien und auf dem Atlantis wurde im heiligen römischen Reich Deutscher Nation viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das lag auch daran, dass die spanische Silberflotte extrem wichtig für die Finanzen der katholischen Allianz war.

Diese globalen Nachrichten wurden in der lokalen Presse abgedruckt und in den Kontext des jeweiligen Fürstentums eingeordnet. Der Wissenschaflter Hillgärtner hat die Herkunftsorte der Nachrichten am Ort der Korrespondenz und kam zu dem Ergebniss, dass ein Großteil der Nachrichten aus den Niederlanden kamen. Die nördlichen Niederlande, welche die heutige Nation Niederlande bilden, befanden sich im Achtzigjährigen Krieg gegen die spanische Krone welche die südlichen Niederlande, das heutige Belgien besaßen. Als wichtiger Verbündeter der protestantischen Liga besaßen die Siebzehn Provinzen(Niederlande) ein ausserordentlich gutes Informations und Handelsnetzwerk was auf Basis einer starken Flotte entstanden ist. Es ist anzunehmen das die niederländischen Händler großes Interesse an der Verbreitung von Nachrichten ihrer Erfolge hatten, was als eine Form des Information-Warfare betrachtet werden kann. Es waren die politische, wirtschaftliche und religiöse Zentren wie Brüssel, Rom, Wien, Prague, Antwerp, Amsterdam und Den Haag, welche häufig als Ort der Korrespondenz erwähnt wurden. Die gut befestigten und im Handelsnetzwerk eingebundenen Hansestädte spielten eine wichtige Rolle als Knotenpunkte für die Verbreitung von Nachrichten. So steht das dem Niederlande nahliegende Köln, als Religiöses Zentrum und Hansestadt mit einer großen Papierindustrie, als Ort der Korrespondenz an erster Stelle in der Datenerhebung von Hillgärtner. Auch Johannes Müller spricht in seiner Arbeit über die Bedeutung von Köln als Knotenpunkt für die Verbreitung von Nachrichten.

"Die Kölner Korrespondeten der Süddeutschen Zeitungen, haben den maritimen Ereignissen eine zusätzliche Ebene der Interpretation hinzugefügt und sie für einen spezifisch deutschen Nachrichtenmarkt vorbereitet, indem sie ihre Relevanz für die politische Situation im Heiligen Römischen Reich hervorhoben.
(Müller 2021: 558)

Die Zeitungskultur

Während des dreißig jähirgen Krieges hat sich ein ausgefallenes Netzwerk von unterschiedlichen Zeitungen, Informanten, Verlegern und Händlern entwickelt. Globalen Nachrichten haben sich über Handelsrouten verbreitet und wurden in größeren Städten in lokale Nachrichten umgewandelt. Diese Entwicklung konnte so nur stattfinden, da im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ein ausgeprägter Feudalismus herrschte. Daraus resultierte, dass sich eine Vielzahl von angepassten und eigenständigen Zeitungen entwickelt haben. Diese haben die globalen Nachrichten an das spezielle „Information-Need“ der einzelnen Städte und Herzogtümer angepasst haben. Um die Nachrichten zu zuordnen wurde ein Ort der Korrespondenz und ein Datum an die Nachricht angefügt, eine Praxis, welche auch heute noch angewandt wird. Bei der Erforschung der Geschichte des Journalismus in Deutschland fällt auf, dass sich des Dreißigjährigen Krieges von der Meinungsäußernden Form der Reformation zu einer Informierenden Darstellungsform gewandelt haben. So wurden die Berichte, auf denen sich die Nachrichten der Journalisten stützen zwar stark redigiert, aber sie bezogen sich auf andere Quellen, anstatt pure Meinung zu sein. So gab es auch Fälle, wo niederländische Nachrichten einfach nur übersetzt wurden. Das Redigieren von Ursprungstexten und das Anpassen in den lokalen Kontext und an die eigene Zielgruppe ist auch heute noch eine weitverbreitete Technik im Journalismus. Daraus können wir resümieren, dass sich im Dreißigjährigen Krieg Praktiken etabliert haben, welche den professionellen Journalismus ausmachen. Zusätzlich hat sich auch das Informationsnetzwerk gebildet, was die erste Tageszeitung, die Leipziger „Einkommenden Zeitungen" im Jahr 1650 ermöglicht hat.

Meinung: Ein Vergleich zu der Situation heute:

Das Internet hat die Art und Weise wie Informationen gesammelt und verbreitet werden, noch dramatischer verändert als der Buchdruck. Deshalb entfernen sich die unterschiedlichen Hyperrealitäten der individuellen Wahrnehmung immer mehr voneinander und sammeln sich langsam in gegenüberliegenden Polaritäten. Dadurch findet eine zunehmende ideologisch Extremisierung statt. Angeheizt wird dies auch von Journalisten der klassischen Medien, aber vor allem von den Sozialen Medien. Diese Situation ähnelt in vielerlei Hinsicht an die von Oelke angesprochene Spaltung zur Reformationszeit. Statt Protestant und Katholisch heute Links und Rechts. Statt Flugblattpropaganda heute Twitter und Facebook.

strebte auch die Flugblattpropaganda dieser Zeit eine konfessionelle Homogenisierung der eigenen Glaubenspartei an, und zwar durch die Abgrenzung von anderen und durch die Propagierung der eigenen Werte als die wahren.
Harry Oelke Seite 374

Es wäre töricht wenn wir als moderne Menschen glauben, dass uns ein ähnlicher Prozess nicht wiedererfahren kann, nur weil wir uns in einer wissenschaftlich geprägten Gesellschaft befinden. Es wäre irrwitzig zu denken, dass die notwendige Polarität von Irrationalem und Rationalen nicht mehr existiert, während wir uns immer weiter in Richtung postfaktische Gesellschaft bewegen.

Weiterführende Links:

Wenn sie es bis hier geschafft haben interessiert sie doch sicherlich für einen tieferen Einblick in die Mediengeschichte von Deutschland:

"News in Times of Conflict: The Development of the German Newspaper, 1605-1650" von Jan Hillgärtner Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter von Harry Oelke Die German History Society
Quellen: Baudrillard, J., 1994. Simulacres et simulation: Simulacra and simulation: the body in theory GERBNER, George, Larry GROSS, Michael MORGAN und Nancy SIGNORIELLI, 1980. The „Mainstreaming“ of America: Violence Profile No. 11. Journal of Communication HAUFF, E., 1963. Die Einkommenden Zeitungen von 1650. Ein Beitrag Zur Geschichte der Tageszeitung. HILLGÄRTNER, JAN, 2018. Netherlandish Reports in German Newspapers, 1605-1650. Early Modern Low Countries; 2018, Vol. 2018. Bd. 2, Nr. 1 KINTZ, Jean-Pierre, Jacques BIGOT, RolandX RIES und STRASSBURG, 2013. Relation 1605: Strasbourg invente le premier journal LA ROCHE, Walther von, Gabriele HOOFFACKER und Klaus MEIER, 2013. Einführung in den praktischen Journalismus LÜNENBORG, Margreth, 2007. Unterhaltung als Journalismus - Journalismus als Unterhaltung MÜLLER, J., 2021. Globalizing the thirty years war: Early German newspapers and their geopolitical perspective on the atlantic world. German History. 2021. Bd. 38, Nr. 4 OELKE, Harry, 1992. Die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts im Spiegel illustrierter Flugblätter
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